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Engelkonzert:

Bach - Reger - Hindemith - Karg-Elert - Humperdinck...
Cover Engel-Klänge (WestChor)
Datum:
27. Nov. 2024
Von:
altfried g. rempe

Booklettext von Johannes Adam

En­gel – das ist ein Begriff, der sich auch in unse­rer Umgangs- und All­tagssprache fin­det. Nach dem Ver­ständ­nis der Bibel, wo sie im Alten und Neuen Testament vorkom­men, und dem Wortsinn  nach sind En­gel indes pri­mär Bo­ten, die den Menschen das Wort, den Wil­len und die Gegen­wart Gottes mit­tei­len. Im er­sten Kapi­tel des Lu­kas-Evangeliums etwa wird vom Engel Gabriel berichtet, der Maria in Nazaret die Verheißung der Geburt Jesu über­bringt: Mit den Worten „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“ soll er Ma­ria angespro­chen ha­ben. Später dann ist es ein Engel, der den Hirten auf dem Feld bei Betle­hem die Geburt des Messias ver­kün­det. Auch im Kon­text des Auf­erste­hungsgesche­hens am Oster­mor­gen ist von Engeln die Rede. Dass Kunst und Volksfrömmig­keit bisweilen zu einer Verniedlichung und Verkitschung beitrugen, ist mitnichten den Himmelsboten anzulasten. 

   In die Schöpfungen von Künstlern aller Sparten haben En­gel als Sujet Einzug gehalten. So heißt der erste Satz der Sinfonie „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith „Engel­kon­zert“. Das Werk entstand 1934 in Zusammen­hang mit der gleichnamigen Oper, die als bedeu­tendste Bühnenkreation und als Schlüs­selwerk des ge­bürtigen Hanau­ers gilt. Das Bühnen­werk in sieben Bil­dern ist Künstleroper, historische Oper und, wenn man so will, auch ein geist­liches Stück. Es geht um die Kämpfe und Probleme des Malers Mathis Gothardt-Neithardt (genannt Grüne­wald), der in Diensten des Erzbi­schofs von Mainz steht. Bevor er das mühsam selbst ge­schaffene Li­bretto ab­geschlossen hatte, kompo­nierte Hin­demith eine drei­sätzige Sin­fonie, die er dann auch in der Oper nutzte. Urauf­füh­rung der Sinfonie war am 27. Fe­bruar 1934 unter der Leitung von Wilhelm Furt­wängler. Die erfolgreiche Sinfonie ist ein klin­gen­des Triptychon („Engelkonzert“, „Grablegung“, „Ver­su­chung des heili­gen Anto­nius“) nach drei Ta­feln von Grünewalds Isenhei­mer Al­tar. Eine be­sondere Rolle in Oper (aus der Taufe ge­hoben 1938 in Zürich) und Sin­fonie spielt der Choral „Es sun­gen drei En­gel ein’ süßen Gesang“ (Text und Musik: Mainz 1605). Der Kopfsatz der Sinfonie ist an der dreiteiligen So­na­tenform ori­en­tiert und hat drei Themen. Die hier einge­spielte lu­zide Or­gelbearbei­tung stammt von Ul­rich Krupp (geb. 1967).

   Auf den Engel als Künder der Weih­nachtsbotschaft verweist Martin Lu­thers Lied „Vom Himmel hoch da komm ich her“. Über diesen Choral schrieb Johann Sebastian Bach ein „gelehrtes“ Kompendium: die so genann­ten Canonischen Veränderun­gen BWV 769 a. Seine Entstehung verdankt das Werk dem 1747 erfolg­ten Ein­tritt des Leipziger Thomaskan­tors als 14. Mitglied in die „Socie­tät der mu­sikalischen Wis­senschaften“, die Bachs Schüler Lo­renz Christoph Mizler 1738 ge­gründet hatte. Minde­stens fünf Arbeits­phasen sind zu kon­statie­ren. Zu unterscheiden sind überdies zwei Fassungen: die au­to­grafe Version, der die vorliegende Auf­nahme folgt, und die Stichversion (Angaben in Klammern). Bach zeigt seine kontra­punktischen Kün­ste. Va­riation I bietet einen Oktav­kanon der Oberstimmen, die Choralmelodie liegt im Pedal. Va­ria­tion II: Quintka­non der Ober­stim­men, Cantus firmus auch hier im Pe­dal. Variation III (V): di­verse Spiegel­kanons, abschließend Engfüh­rung, Dimi­nution und „alla Stretta“, dort Kombination der vier Choralzeilen. Zudem lässt sich die Tonfolge B-A-C-H ausma­chen. Va­riation IV (III): Ka­non in der Septim, dazu freie Stimme, Lied­me­lodie im Sopran. Va­riation V (IV): Oktavkanon in der Ver­größe­rung („per augmentatio­nem“), Choral im Pedal. Der späte Bach – man denke an die „Kunst der Fuge“ – als konstrukti­visti­scher Kontrapunktiker.

   In eine völlig andere Klangwelt zeigt „Saluto angelico“ von Sig­frid Karg-Elert. Es handelt sich um den fünften Satz aus dem Zy­klus „Cathedral Win­dows“ op. 106 von 1923. Eine musi­kalische, geradezu impressionisti­sche Versinnlichung von goti­schen Bild­fenstern einer alten Kathedrale. „Diese Stücke liebe ich blödsin­nig“, erklärte Karg-Elert, den man durchaus als Ju­gend­stil-Kom­ponisten apostrophie­ren kann. Er habe sie „in einem wah­ren Paroxismus religiöser Versenkung“ ge­schrieben, „als ich zum er­sten Male mit dem gregorianischen Choral zu­sammengeriet“. „Sa­luto an­gelico“ ist eine Ave-Maria-Rezeption. Signifikant die Vor­tragsanweisung: „Larghetto mi­stico“. Mystische, ätherische Musik, die sich im unte­ren Bereich der Dynamikskala ereignet. Struktu­ren, die ganz auf den Klang hin konzipiert sind. Eine Kombination von Soloeffekten und Begleitung. Ein Satz, mit dem sich
(Klang-)Farben einer Orgel zeigen lassen.

   In die niederbayerische Donaustadt Deggendorf führt die Cho­ralpartita „Unüberwindlich starker Held, St. Mi­chael“, die Fritz Goller 1973 zu Papier gebracht hat. Deggendorf war aber nicht nur die Heimat des Komponisten, der von 1914 bis 1986 lebte,  son­dern dort wurde auch der Interpret dieser CD geboren. Goller, ein Neffe des in Kirchenmusikerkreisen bekannteren Vinzenz Goller, formte aus dem Lied auf den Erzengel Michael eine Partita mit unverkennbar neobaroc­ken Zügen. Wobei die einzel­nen Sätze – dies ergibt sich aus den Überschriften – jeweils den einzelnen Liedstrophen zuzuord­nen sind. Der Liedtext stammt von Friedrich Spee – das Grab des „Hexenanwalts“, Dichters und Seelsorgers befindet sich unter der Trierer Je­sui­ten­kirche. Zunächst wird der Choral in schlichter Vierstimmigkeit exponiert. Eine schöne Idee hat Goller in der er­sten Variation: Zu den Worten „Die Kir­ch’ dir anbefoh­len ist“ führt er das – ja eben­falls auf die Kir­che bezogene – Lied „Ein Haus voll Glorie schauet“ (Joseph Mohr, 1876) im Kanon. In diesem Trio er­scheint das Mi­chaelslied solistisch im Pe­dal. Triolisch geprägt ist die nach­fol­gende Variation („Die Engel sind dein Königsheer“). Der nächste Ab­schnitt („Groß ist dein’ Macht“) ist phonstark  vorzutra­gen. Der „Drachen“ in der nächsten Liedstrophe schlängelt sich zunächst durch die Pedalstimme, haucht dann nach und nach sein Leben aus, bis St. Michael ihm schließlich den letzten Schlag versetzt. „O komm mit deiner Ritterschaft“ präsen­tiert sich als „Trum­pet air“. Das in E-Dur ausklingende Finale ist dynamisch zu steigern.

   Engelsthematik findet sich auch bei Franz Liszt. „Angelus!“ von 1877 heißt das erste Stück des dritten Teils der „Années de pèleri­nage“ („Wan­der­jahre“). Meditative Musik, die nicht für den Kon­zertsaal ge­dacht ist. „An­gelus!“ ist ein Gebet zu den Schutzengeln. Der betagte Kompo­nist hat es seiner Enke­lin Daniela von Bülow zugeeignet. Das E-Dur-Stück im Sechsachteltakt mit der Vortrags­anwei­sung „An­dante pie­toso“ ist, wie auch die anderen Bei­träge der Kollektion, als Pro­gramm­musik zu verstehen. Glockenklänge – man beachte den Hinweis „dolce“ – bilden den Rahmen für eine große Steige­rung. Eine Musik, die dennoch nach innen gerichtet ist, im Ge­gensatz zu den ex­tro­ver­tier­ten Liszt’schen Orgelwerken wie der mo­nu­menta­len Fantasie über „Ad nos, ad salutarem undam“ oder der B-A-C-H-Hommage.

   Ebenfalls in schützender Funktion erlebt man die Engel in der einschlägi­gen Szene der Märchenoper „Hänsel und Gretel“ von En­gelbert Humper­dinck: „Abends, will ich schlafen gehn, vier­zehn Englein um mich ste­hn“, heißt es da. Diese Oper ist Hum­per­dincks Hauptwerk und zählt zu den wichtigsten Märchenopern über­haupt. Humper­dinck hatte in München unter an­derem bei Jo­sef Rhein­berger studiert und war von 1880 bis 1882 Assistent Richard Wagners in Bayreuth. „Hänsel und Gretel“, jenes Märchen­spiel in drei Bildern, ist Humperdincks Erstling für die Opern­bühne. Das Li­bretto hatte Humperdincks Schwester Adelheid Wette entwor­fen. Die bis heute beliebte und nicht zuletzt in der Weih­nachtszeit gern gespielte Oper kam am 23. Dezember 1893 am Hoftheater Weimar unter der Leitung von Richard Strauss zur Uraufführung. Es gibt Wagner-Reminiszenzen (Orchesterap­parat, Leitmotive). Es finden sich aber auch Elemente, die Volksliedcha­rakter ha­ben. Prominen­tes Beispiel dafür ist eben der so genannte Abend­segen „Abends, will ich schlafen gehn“. Die Tran­skription für Orgel ver­danken wir dem 1865 in London ge­bo­renen und 1934 in Los An­geles verstorbenen Edwin Henry Le­mare.

   Das „Ave Maria“ in A-Dur von Max Reger ist als Nr. 7 Bestand­teil der „Monologe“, jenen zwölf Orgelstücken op. 63 aus der Münchner Zeit, konkret von Anfang 1902. Zu den be­kann­testen Werken dieser Samm­lung zählen zweifellos Introduktion und Pas­sa­caglia in f-Moll. Den Titel „Mono­loge“ hat Reger womög­lich von Rhein­berger über­nommen, von dem 1890 unter diesem Etikett gleichfalls Orgel­stücke auf den Markt gekommen wa­ren. Mit dem „Ave Maria“ aus op. 63, dem ein gleichnamiges Werk (diesmal in As-Dur) in den Orgelstüc­ken op. 80 an die Seite zu stellen ist, se­hen wir Reger, der ja von Hause aus Katholik war, im mariani­schen Genre. In diesen Bereich gehören obendrein Exempel aus dem Chor- und Liedschaffen dieses für die Orgelmusik der deutschen Spätromantik so wichtigen Komponisten. Das „Ave Maria“ im lieblichen A-Dur aus den „Monologen“: Das ist verhal­tene lyrische Orgelmusik – nicht zu schnell („Andante sostenuto“), nicht zu laut, nicht zu schwer. Und doch mit typisch Re­ger’schem Es­pressivo. Innige Musik für die Pastell­far­ben der Orgel. Geeignet für Gottes­dienst und Konzert. „Ave Maria“: Da ist die Gottesmutter gemeint, der seiner­zeit der Gruß des Engels galt.

   Bei „In Paradisum“ von Théodore Dubois kommt eine weitere Konnota­tion des Engelthemas zum Tragen: Sie bezieht sich, wie es im Text Maria Lu­ise Thurmairs zu einem Engellied umrissen wird, auf un­se­ren „letzten Gang durch To­desnot und Grauen“. Und was tut der Engel? „Er wird die Flügel breiten und uns aus dem Gericht in Frie­den heimgeleiten vor Gottes Ange­sicht.“ Das „In Paradisum“ („Zum Pa­radies mögen Engel dich geleiten“) ist, und zwar auf dem Weg zum Grab, Bestandteil der Begräbnisliturgie. „In Paradisum“:  Sätze mit dieser Überschrift fin­det man in den Re­quiem-Verto­nungen der Franzosen Gabriel Fauré und Mau­rice Duruflé. Diesen Titel trägt eben auch das Werk von Du­bois, das dem italienischen Komponisten Marco Enrico Bossi ge­widmet ist. Dubois, der in einem Dorf bei Reims geboren wor­den war und von 1896 bis 1905 als Direktor am Pariser Conservatoire amtierte, ist Orgelfreunden vor al­lem durch seine motorische Toccata ein Begriff. Eine ge­wisse Motorik (Sextolen!) weist auch das Para­dies-Stück auf – ob diese Bewe­gung den Flügel­schlag der En­gel symbolisieren soll? Ein ausge­sprochen klarer, trans­paren­ter G-Dur-Satz.

   Es gibt nicht nur Posaunenengel (wie man sie vom Frei­burger Münster kennt), sondern auch Trompetenengel: „L’ange à la trom­pette“ – so hat Jâc­ques Georges Paul Charpentier sein „Pré­lude pour Grand Orgue“ ge­nannt. 1933 in Paris geboren und kei­nesfalls zu verwechseln mit seinem ba­roc­ken Namensvetter Marc-Antoine, hat Charpentier ein Werk vorge­legt, das mit dem großem Orgelklang rechnet, ohne das Fili­grane, die Reduktion, zu igno­rieren. Ein ziemlich eigenes Werk, in dem allerdings Olivier Messiaens Vogelwelt mitunter Spuren hin­terlas­sen hat. Fanfa­renartig und eher gravi­tätisch der Be­ginn. Ein er­heblich schnel­le­rer Teil folgt. Die Rückkehr zum Aus­gang­stempo voll­zieht sich im dreifa­chen Forte. Doch dabei bleibt es nicht. Sogar das Wört­chen „dolce“ taucht auf. Über ein Crescendo wird bald ein weite­rer Kraft­aus­bruch erreicht. Eine, mit ei­nem Perpe­tuum mobile vergleich­bare, nicht mehr abrei­ßende Sech­zehn­tel­kette begleitet den weiteren Verlauf. Den Ausklang bilden vier ge­wichtige, von wuchtigen Pedalquinten ge­tragene „Largo“-Takte, die auf dem tiefsten Ton C basieren. Engel (und Boten) haben ge­sprochen. Ihre Botschaft geht uns alle an.
 

Besprechung in Zeitschrift "De Orgelvriend" (NL) 2008

Auch eine überraschende Scheibe, aber in einem ganz anderen Sinn, ist die CD, die Josef Still auf "seiner" noch immer imposant erscheinenden Klais-Orgel (1974) im Trierer Dom für das junge Label Organum aufgenommen hat. Es ist nicht so sehr eine CD, die beim Hörer für ein ultimatives "Weihnachtsgefühl" sorgt, wohl aber hat sie ein interessantes Programm rund um das Thema "Engel". Da gibt es als Erstes das Engelkonzert, eine Transkription des ersten Satzes aus der Sinfonie "Mathis der Maler", die Paul Hindemith 1934 in Vorbereitung auf seine gleichnamige Oper über das Leben des Malers Matthias Grünewald komponierte. Eigentlich sollte man in diesem Programm eher das Concerto "Es sungen drei Engel" von Hindemiths Zeitgenossen Hans Friedrich Micheelsen erwarten. Bei diesem Engelkonzert liegt aber tatsächlich derselbe Choral zugrunde und es ist interessant zu hören, wie Hindemith diese Thematik bearbeitet.
In einem solchen Programm dürfen  Bachs "Canonische Veränderungen über Vom Himmel hoch" natürlich nicht fehlen, wenngleich auch der Choral "Vom Himmel kam der Engelschar", BWV 607, aus dem Orgelbüchlein passend gewesen wäre. Die Klais-Orgel von Trier kann als "Kompromissorgel" im besten Sinne des Wortes gelten, so wie es im Kapitel "Die Orgel als Klangskulptur" im 36 (!) Seiten zählenden Booklet zu lesen ist. Und in der Tat klingt Bach in Trier genauso befriedigend wie beispielsweise Karg-Elerts Saluto angelico aus seiner impressionistischen Suite "Cathedral Windows". Dass Still die bei uns völlig unbekannte Partita von Fritz Goller (1914 - 1986) auswählte, hat einen bestimmten Grund: Still wurde im selben Bayrischen Ort (Deggendorf) geboren, wie der Organist. Der "Angelus" (vollständig Angelus Domini, "Der Engel des Herrn") ist ein katholisches Gebet, das von alters her drei Mal am Tag gebetet wird. Morgens um sechs, um zwölf Uhr mittags und um sechs Uhr abends. Es wird durch das Läuten einer kleinen Glocke angekündigt, die Franz Liszt in seinem "Angelus!" aus "Années de pèlerinage" darstellt. Auch in der Märchenoper "Hänsel und Gretel" von Engelbert Humperdinck gibt es eine Engelszene (Abends, will ich schlafen gehn), die durch den bekannten englischen Organisten/Komponisten Edwin Lemare für Orgel bearbeitet wurde. Am Ende erklingt hier eine der Röhrenglocken, die zur Klaisorgel gehören. Mit dem "Ave Maria" aus Max Regers Monologe, Opus 63, erreichen wir wieder das Terrain der echten Orgelmusik. Es ist eins von Regers berühmten kurzen, lyrischen Werken, das, durch viele Tonarten wandelnd, andauernd das Herz anspricht. Engel als ein musikalisches Motiv: dies kann sich in einer paradiesischen Vision ausdrücken (Dubois, In Paradisum), oder auch als klingende Botschaft, so wie es der 1933 geborene Jacques Georges Paul Charpentier in seinem "L'Ange à la Trompette" getan hat. Ein Werk mit kräftigen Kontrasten, von großen und intimen Orgelklängen, mit denen er sagen will: "Die Engel haben gesprochen. Die Botschaft geht uns alle an." Die Stereoaufnahme ist sehr direkt; es ist aber möglich, dass eine Fünfkanalwiedergabe, zu der die CD in der Lage ist, dem Raum besser gerecht wird. Das Booklet ist vorbildlich.
Gerco Schaap
Übersetzung: Gerhard W. Kluth

Besprechung in www.klassik.com von Dominik Axtmann (Ausgabe vom 15.12.2008)

Was der Trierer Domorganist Josef Still da zum Thema ‘Engel’ zusammengetragen hat, ist eine hochinteressante Melange aus etablierter Orgelliteratur und lohnenswerten Raritäten. Johann Sebastian Bachs Canonische Veränderungen über ‘Vom Himmel hoch da komm ich her’ und Max Regers ‘Ave Maria’ sind da noch die bekanntesten Werke – umso spannender, was es zu entdecken gilt.
Da ist zum einen das Titel stiftende ‘Engelkonzert’ aus der Sinfonie ‘Mathis der Maler’ von Paul Hindemith in einer Orgeltranskription von Ulrich Krupp. Eine besondere Rolle spielt dabei der Choral ‘Es sungen drei Engel ein’ süßen Gesang’, der Gelegenheit zum solistischen Spiel mit den zeittypischen kurzbechrigen Zungen (Vox humana) und den Aliqouten gibt. Überhaupt scheint die Orgel für Hindemith am besten geeignet zu sein. Auch wenn man sicherlich an diesem 67-registrigen Instrument der Bonner Firma Johannes Klais, das als Schwalbennest im Zuckerbäckerstil auch ein ungewöhnliches optisches Vergnügen bereitet, Orgelmusik aller Epochen darstellen kann und es für sein Baujahr (1974) eine beachtliche klangliche Wärme vorweist, kann sie in den romantischen Stücken weniger überzeugen und ihre zeittypische ‘neobarocke’ Intonation nicht verleugnen. Allerdings: warum auch? Längst hat man erkannt, dass qualitätvoll gebaute Instrumente dieser Epoche – und die Klais-Orgel des Trierer Doms darf man getrost dazu zählen - ihren eigenen Charme besitzen. Für den Organisten gilt es jeweils, diesen geschickt als Stärke auszuspielen. Josef Still kennt sein Instrument genau und verfügt über genügend technische Souveränität und vor allem Spielwitz, seine Orgel bei allen Stücken überzeugend klingen zu lassen.

Ungewöhnliche Klangfarben

So entlockt er ihr immer wieder Klangfarben, die auch der Orgelkenner nicht sofort vermuten würde, beispielsweise im ‘Saluto angelico’ aus den ‘Cathedral Windows’ von Sigfrid Karg-Elert mit verschiedenen Schwebungs-Effekten. Fritz Gollers Choralpartita ‘Unüberwindlich starker Held, St. Michael’ enthält auch die Melodie des bekannteren ‘Ein Haus voll Glorie schauet’ und darf als Repertoireergänzung höchst empfohlen werden, besonders wegen des Drachenkampfes. Die genialen Übertragungen des amerikanischen Konzertorganisten Edwin H. Lemare, aufgrund ihrer technischen Schwierigkeiten gefürchtet, gelten mittlerweile als eigenständiger Beitrag zu Orgelliteratur und finden immer öfter auch in europäische Konzertprogramme Eingang. Die Engelszene aus Engelbert Humperdincks Märchenoper ‘Hänsel und Gretel’ mit dem herzergreifenden Abendsegen ‘Abends, will ich schlafen gehen, vierzehn Engel um mich stehn’ ist ohne jeden Kitsch, aber höchst sensibel gespielt.
Schöne Flötenstimmen kommen immer wieder zum Einsatz, sei es solistisch oder als Sextolen-Begleitung in Theodore Dubois’ ‘In Paradisum’. Beachtlich die dynamische Bandbreite und Differenzierungsfähigkeit der Orgel besonders im unteren Lautstärkebereich – dank des geschickten Registrierens des Organisten, das in Jâques Georges Paul Charpentiers  (übrigens nicht zu verwechseln mit dessen barocken Namensvetter Marc-Antoine) ‘L’Ange à la Trompette’ sogar täuschend glockenähnliche Klänge hervor zaubert. Gerade dieses letzte Stück, bei uns kaum bekannt, ist ein visionäres, postsymphonisches Prélude, das mit dem großen Orgelklang rechnet, ohne das Filigrane zu ignorieren (mitunter hat hier Olivier Messiaens Vogelwelt ihre Spuren hinterlassen). Ein Werk von größter Aussagekraft, wie die ganze CD.

Hohe Aussagekraft

Josef Stills Spiel hat nichts Akademisches an sich, sondern wirkt frisch und zupackend, jedoch stets mit der nötigen Sensibilität. Nicht jede gute Orgel-CD kann man am Stück hören – diese schon. Das Klangbild SACD-Surround-Sound ist optimal, natürlich und kräftig. Cover und Booklet sind ansprechend gestaltet, letzteres mit lesenswerten, dreisprachigen Informationen zur Thematik, den eingespielten Werken, der Orgel und dem Organisten.
Eine rundum überzeugende Produktion des schwäbischen Orgellabels Organum Classics.

(Engelkonzert - Josef Still - Klais-Orgel Dom Trier - Organum Classics Ogm 267014 (SACD Multichannel) - Spieldauer 70'59')