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Abschnitte üben

Datum:
15. Apr. 2024
Von:
altfried g. rempe

(zu Regel 6)

... wie unter'm Mikroskop...

Das Einteilen einer unbekannten Partitur in überschaubare Übabschnitte soll zuerst der kritischen Überprüfung der korrekten Fingersätze und „schlauen Zahlen“ über den Noten dienen, erst dann der Aneignung harmonischer, rhythmischer und melodischer Strukturen sowie dem speziellen Techniktraining, bis hin zur höchsten Zielebene einer optimalen und rationellen Gedächtnisverarbeitung: dem Auswendigspiel. Alle strukturellen Ebenen, bzw. deren Bewältigung, komplimentieren sich im Gewebe des zu erarbeitenden Stücks und ermöglichen letztlich das sichere auswendige Spiel eines Werkes.

Zugegeben: Das konsequente und intensive Studieren „unter dem Mikroskop“ erscheint zunächst langwierig und mühevoll, führt mittel- und langfristig jedoch zu einer respektablen Geschwindigkeit und Sicherheit auch bei der Erarbeiten komplexerer Literatur. Ein scheinbar lässiges Durchlesen mit gelegentlichem „Stolpern über Stock und Stein“ verbindet sich dann automatisch mit einem souveränen Lächeln, das um den gesicherten Lernerfolg im Voraus weiß und die Scheu vor der schwierigen Materie und mancher technischer Klippe abgeschüttelt hat. Eine ineinandergreifende und aufeinander aufbauende, detailbewusste („schlaue“) Bausteinarbeit mit kleinen musikalischen Einheiten, bei vollkommener technischer Entkrampfung (Fingersatz ohne Spannungskonflikte!), erleichtert das Erarbeiten jeder Literatur und wird am Ende gar zu einer Art erholsamem „Keyboardsport“. Um diesen Erfolg nicht zu behindern, sollte jedes klebrige Dauerlegato im Schneckengang vermieden werden, das weder der Orgelmusik noch dem Instrument in den meisten Fällen angemessen ist.

Viele Organisten mögen sich angesichts derartiger Erkenntnisse nun allerdings fragen: Wieso konnte und durfte ich dies alles nicht schon längst? Und wer die oben erwähnten Grundregeln strikt befolgt, wird freilich ganz von allein zu dem Selbstvorwurf genötigt sein: Hätte ich das permanente Legatospiel samt halsbrecherischem Legatofingersatz nur damals schon durchbrochen und aufgelockert und natürliche Fingersatzlösungen gefunden wie etwa den „springenden Daumen bzw. fünften Finger“ (durch ein gelockertes Handgelenk zielsicher geführt), oder hilfreiche Glissandotechniken eingesetzt bzw. Parallelverschiebung der Hände und Füsse, anstatt des doktrinären Gebrauchs eines im Wortsinne un-organ-ischen Über- bzw. Untersetzens.
Somit wäre unser Ziel klar umrissen als das unverkrampfte Arbeiten am und mit dem Instrument, ein Üben also, das rundum Spaß machen kann. Statt uns mit einem Katalog gouvernantenhafter Verbote zu plagen haben wir pragmatisch sinnvolle Regeln des „professionellen Mogelns“ gefunden, die uns nun legitimerweise zu rasch vorzeigbaren Resultaten verhelfen können. Ausgenommen von dieser neu erworbenen Freiheit bleibt einzig das Kardinalgebot des „schlauen Fingersatzes“, ohne dessen kompromisslose Beherzigung auch das virtuoseste „Mogeln“ nicht zum Ziel führen würde. Fazit: „Lassen wir den Klebstoff beim Orgelüben zuhause!“