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Vallendar: Wasser-Musiken mehrerer Jahrhunderte:

Josef Still in St. Marcellinus und St. Petrus
Cover Wassermusik
Datum:
27. Nov. 2024
Von:
altfried g. rempe

Bei Novello in London erschienen 1923 die zwei Jahre zuvor von Sigfrid Karg-Elert (1877-1933) komponierten Seven Pastels from the Lake of Constance. Die expressiven, harmonisch äußerst kühnen und klanglich sehr farbigen Charakterstücke tragen Titel wie The Nymph of the Lake, Landscape in Mist, The Sun’s Evensong oder The mirrored Moon. Den Abschluss des Werks bildet Hymn to the Stars. Im Notentext gibt Karg-Elert genauestens die Registriervorschriften an: So verlangt er im „misterioso“ von Hymn to the Stars die skurrile Mischung 16‘, 2 2/3‘ und Voix celeste 8‘! Kurz darauf treten eine Terz 1 3/5‘ und eine Flöte dazu. Der Komponist, gebürtig aus Oberndorf am Neckar, wuchs in Leipzig auf und genoss dort eine gute musikalische Ausbildung, vor allem im Fach Klavier. Kurzzeitig war er Klavierdozent am Magdeburger Konservatorium, verlegte sich aber, angeregt durch Emil von Rezniček und Edvard Grieg, ab etwa 1904 ganz auf das Komponieren. Karg-Elert schuf zunächst Kammermusik, Lieder und Klavierwerke. Auch für das „Kunstharmonium“, an dem er ab 1924 bei sonntäglichen Morgenandachten live im Rundfunk zu hören war, entstanden viele Stücke. Durch die Bekanntschaft mit Max Reger und Karl Straube wandte er sich zunehmend der Orgel zu. Seine Orgelwerke fanden vor allem in England und Amerika begeisterte Aufnahme; in Deutschland selbst war Karg-Elert nach seinem Tod so gut wie vergessen. Erst seit den 1980er Jahren werden seine Werke mehr und mehr von Organisten in ihre Konzertprogramme aufgenommen.

Die Choralbearbeitung Christ, unser Herr, zum Jordan kam von Johann Sebastian Bach (1685-1750) entstammt dem 1739 im Druck erschienenen Zyklus Clavierübung. Dritter Theil . Eingerahmt von dem Präludium und der Fuge in Es-Dur machen zehn große Choralvorspiele den Hauptteil dieser Sammlung aus: Die Kompositionen aus Bachs reifster Zeit sind musikalische Kommentare zu Chorälen, deren Reihenfolge nahezu einem gottesdienstlichen Konzept folgt. Der „Dritte Teil der Klavierübung“ trägt daher auch den Titel „Orgelmesse“. Die Sechzehntel-Bewegung, die über weite Strecken in der linken Hand liegt, imitiert tonmalerisch das Murmeln des Jordanwassers.  Die Choralmelodie liegt im Pedal.

Der aus dem Elsaß gebürtige Johann Adam Reincken (1623-1722) war Schüler Heinrich Scheidemanns und wurde 1659 dessen Gehilfe und 1663 dessen Nachfolger als Organist der Hamburger Katharinenkirche. 1678 war er Mitbegründer der Oper am Gänsemarkt. Er galt zu seiner Zeit als einer der größten Orgelspieler und Orgelgutachter. Als Johann Sebastian Bach ihm 1720 bei einem Besuch in Hamburg auf der Orgel eine Improvisation vorgespielt hatte, sprach der hochbetagte Reincken: „Ich dachte, diese Kunst wäre gestorben, ich sehe aber, sie lebt in Ihnen noch.“  Mit An Wasserflüssen Babylon schuf Reincken die längste Choralfantasie des Barock überhaupt. Die zehn Choralzeilen sind einzeln als Choralvorspiele auskomponiert und geschickt zur Einheit zusammengefügt. Ruhige und bewegte Diskant-Durchführungen des Cantus-Firmus mit reich kolorierter Solostimme wechseln ab mit Echopassagen, virtuosen Pleno-Teilen  und rezitativischen Elementen.

Die Wassermusik von Georg Friedrich Händel (1685-1759) besteht aus den drei Suiten in F-Dur, D-Dur und G-Dur. Weder ein vollständiges Autograph noch ein autorisierter Erstdruck lassen sich nachweisen. Die Ungewissheit über die genaue Entstehungszeit macht die Sachlage ebenso unübersichtlich wie die Existenz zahlreicher Varianten, die zu einzelnen Sätzen vorhanden sind. Die vorliegende Orgelfassung nach einem Druck von 1769 entspricht der Variante III zur Suite in D-Dur.

Wie die spätere Feuerwerksmusik waren die drei Suiten zum Gebrauch unter freiem Himmel konzipiert. Wir wissen von drei „Königlichen Wasserfahrten“ auf der Themse, zu denen Musik von Händel gespielt wurde. Über eine prunkvolle Fahrt am 17. Juli 1717, bei der 50 Musiker mit Trompeten, Hörnern, Oboen, Fagotten, Flöten und Streichern die Bootsgesellschaft erfreuten, berichtete zwei Tage später die Londoner Zeitung  „Daily Courant“:„Am Mittwoch abend um ungefähr 8 Uhr ging der König in Whitehall in einer offenen Barkasse zu Wasser, in der auch die Herzogin von Bolton, die Herzogin von Newcastle, die Komtesse von Godolphin, Madam Kilmarnock (gen. Kielmansegge) und der Earl of Orkney waren. Und er fuhr auf dem Fluss nach Chelsea. Viele andere Barkassen mit wichtigen Persönlichkeiten kamen hinzu, und es waren so viele Boote, dass gewissermaßen der ganze Fluss bedeckt war. Auf einer von der City Company [eine der großen Londoner Gilden] bestellten Barkasse waren 50 Instrumente jeder Art, die von Lambeth an den gesamten Weg lang spielten (während die Barkassen mit der Tide ohne Rudern bis Chelsea fuhren): Die besten Symphonien, eigens für diesen Anlass von Herrn Händel komponiert, die Seine Majestät so sehr mochte, dass er sie mehr als dreimal während der Hin- und Rückfahrt spielen ließ. Um 11 Uhr ging Seine Majestät in Chelsea an Land, wo ein Abendessen vorbereitet war, und dort war noch eine großartige Musikkapelle, die bis 2 Uhr blieb. Danach ging Seine Majestät wieder in seine Barkasse und kehrte auf demselben Weg zurück, während die Musik weiter spielte, bis er landete."

In einem Antwerpener Liederbuch des 16. Jahrhunderts steht das Lied T’Andernaken, al op den Ryn, daer vant ik twee maechdekens spelen gaen. Die Handlung des damals recht beliebten weltlichen Gesangs spielt in Andernach. Paul Hofhaimer (1459-1537), berühmter Innsbrucker Hoforganist, nahm wie viele Komponisten seiner Zeit (so etwa auch Ludwig Senfl) die Liedmelodie des „Tandernaken“ und schrieb darüber ein dreistimmiges Orgelstück. Überliefert ist es in mehreren Orgeltabulaturen. Die Tabulatur Johannes Kotters enthält zudem eine in Mensuralnotation und im Tenorschlüssel geschriebene Altstimme mit dem kuriosen Vermerk: „ANDERNAK. Altus. von ein andern darzu zu schlagen“.

„ ...Ich will die Donau ihren ganzen Strom lang sehen. Und dann gehe ich meine Sinfonie an...“. Leoš Janáček (1854-1928) starb, bevor er seinen im Alter von 70 Jahren geäußerten Wunsch nach einer Donaufahrt verwirklichen konnte. Auch die Symfonie Dunaj, an deren Skizzen er seit 1923 gearbeitet hatte, sollte nicht vollendet werden. Seine Liebe zur Donau rührte von einem längeren Aufenthalt in der slowakischen Hauptstadt Bratislava her, wo er anlässlich der Aufführung seiner Oper Katja Kabanowa eine glückliche Zeit erlebt hatte. Die viersätzige Donau-Symphonie war bei Janáčeks Tod ein Torso, den ein Schüler von ihm erst 1948 anhand originaler Aufzeichnungen zur Vollständigkeit ergänzte. Die heute bekannte Orchesterfassung schufen schließlich die Komponisten und Musikwissenschaftler Leoš Faltus und Miloš Štědroň im Jahr 1985.

Die Fantasie und Fuge über den Choral "Ad nos, ad salutarem undam" aus Giacomo Meyerbeers Oper Le Prophète ist die erste und größte Orgelkomposition von Franz Liszt (1811-1886). Er komponierte das gewaltige Werk im Winter 1850, kurz nachdem er nach Weimar gezogen war. Meyerbeers Prophet handelt vom Aufkommen der Wiedertäufer in Holland im 16. Jahrhundert. Der romantisch nachempfundene Choral „Ad nos“, der im ersten Akt der Oper gesungen wird, ist ein Aufruf an das Volk, sich im heilenden Wasser wieder taufen zu lassen. Meyerbeer, dem Liszts Fantasie und Fuge gewidmet ist, zeigte sich sehr erfreut, als er erfuhr, dass sein Name dank der Veröffentlichung von "Ad nos" im Jahre 1852 mit dem von Liszt in Verbindung gebracht wurde. Die erste Aufführung von "Ad nos" fand 1855 anlässlich der Einweihung der Ladegast-Orgel im Merseburger Dom statt. In für Liszt typischer Weise werden zunächst Bruchstücke des kurzen Chorals unablässig neu begleitet, neu harmonisiert und neu „orchestriert“. Erst der zwischen Fantasie und Fuge stehende Adagio-Teil zitiert erstmals alle Choralzeilen vollständig. Auch hier werden anschließend Elemente des Chorals frei weitergesponnen. Die ruhige Stimmung des Mittelteils wird schlagartig beendet durch eine wilde, pianistisch-virtuose Kadenz, die wiederum überleitet zur Fuge, die das Choralthema in scharf punktierter Variante zum Thema hat. Eine gewaltige Steigerung mündet in eine abschließende Hymne, und monumentale Akkorde lassen den Choral letzmals, nun in strahlendem C-Dur, aufscheinen.  
Josef Still
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Besprechung in der Zeitung LUXEMBURGER WORT:  "Die Welt der Schallplatte" 29.1.2000
Die besondere Orgel-CD : "Wassermusik" auf der Oberlinger-Orgel in Vallendar am Rhein

Die vom Trierer Domorganisten Josef Still (*1959) eingespielte CD gehört in mehrfacher Hinsicht zu den besonders hochwertigen Aufnahmen. Da steht an erster Stelle die 1998 in der Pfarrkirche St. Marzellinus und St. Peter in Vallendar erbaute dreimanualige Oberlinger-Orgel, deren Disposition von 49 Registern demnächst durch drei weitere Chamadenregister auf 52 Register vergrößert
wird. Die Kirche in Vallendar hatte bereits 1786 eine Stumm-Orgel erhalten, die 1758 für die Schlosskapelle in Ehrenbreitstein erbaut und dort von Wilhelm Schöler 1770 für 40 Reichstaler restauriert worden war. An ihrem neuen Standort in Vallendar wurde sie 1842 von der Firma Weil von 20 auf 27 Register vergrößert. 1955 und 1971 wurde die Orgel von der Firma Kemper und Sohn - die in Luxemburg 
die Orgeln in Weimerskirch, Limpertsberg und Bonneweg geliefert hat - umgebaut und vergrößert, wobei - gemäß einer Bestandsaufnahme von 1991 - "derart gravierende, unfachmännische und dilettantische Eingriffe" in das historische Pfeifenwerk vorgenommen wurden, dass dieses nicht mehr verwendet werden konnte. Das Material und die Verarbeitung der neu eingebauten Register wurden als derart minderwertig bezeichnet, dass sie weder eine Restaurierung noch eine Wiederverwendung in einer neuen Orgel rechtfertigten. Deshalb wurde die Orgelmanufaktur Gebrüder Oberlinger aus Windesheim mit dem Bau einer neuen Orgel beauftragt. 

Die Firma Oberlinger, die in Luxemburg sieben Orgeln baute und in der beispielhaften Restaurierung der Stumm-Orgel der Dreifaltigkeitskirche neue Maßstäbe setzte, hat einen besonderen Klangstil entwickelt, der als Synthese zwischen mittelrheinischer Orgeltradition und französischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts gewertet werden kann. So weisen denn auch die französischen 
Bezeichnungen der Register und der Manuale darauf hin, dass Aufbau und Intonation der neuen Orgel in Vallendar vor allem vom französischen Einfluss geprägt wurde, was gleich zu Beginn der Einspielung erkennbar wird. Der Gesamtklang bleibt in allen dynamischen Abstufungen homogen; dank der großen Anzahl der 8'-Register, die eine geschlossene Klangbrücke zwischen den Obertonreihen und den abgrundtiefen Bässen her-stellen. Von den 13 Zungenstimmen stehen gleich 4 im Schwellwerk, das mit 17 Registern überreich besetzt ist und somit grandiose Klangwirkungen und -abstufungen ermöglicht. Das Tutti des geschlossenen Schwellkastens wirkt wie ein in Fesseln gelegter Urknall; wird das Schwellwerk geöffnet, werden apotheotische Klangwelten geboren. Und da baut man im Großherzogtum gleich zwei dreimanualige Orgeln ohne Schwellwerk, was im Vergleich mit der Orgel in Vallendar einer Sünde wider den Heiligen Geist gleichkommt. 

Dieses Meisterwerk der Orgelbaukunst fand in Josef Still den adäquaten Meister für die Vorstellung der Orgel und deren Einspielung. Mit den um den Themenkreis "Wasser" angesiedelten Stücken werden für einmal die ausgetretenen Pfade der Paradestücke verlassen. Die Idee entstand während der vielen Faltbootfahrten, die Josef Still auf den Flüssen und Strömen Europas, von der Nordsee bis hin zum 
Schwarzen Meer, unternimmt. 

Als Einleitung hören wir die "Hymne an die Sterne" op. 96/7 aus den 1921 von Sigfrid Karg-Elert komponierten "Sieben Pastellen vom Bodensee", in der vom Komponisten vorgeschriebenen, skurrilen Registrierung. Es folgen "Christ, unser Herr, zum Jordan kam" von J. S. Bach, "An Wasserflüssen Babylon" von Johann Adam Reincken, drei Orgelstücke (Orgelfassung nach einem Druck von 1759) aus der "Wassennusik" von G. F. Händel, "Tandernak" von Paul Hofhaimer, ein dreistimmiges Orgelstück nach einem Lied aus einem Antwerpener
Liederbuch aus dem 16. Jh., "Allegro" als Transkription von Josef Still aus der viersätzigen "Donausymphonie", die Leos Janacek unvollendet hinterlassen hatte und die von einem Schüler 1948 beendet wurde, und, als glanzvoller Abschluss, Fantasie und Fuge über "Ad nos, ad salutarem undam" von F. Liszt. Hier werden Orgelklang und Orgelspiel zu einem nachhaltigen, nicht zu überbietenden
Ereignis, das man schon selbst persönlich erleben muss, weil es sich nicht in Worte fassen lässt.
Norbert Thill