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Die Orgelbauer-Dynastie Stumm

Einzelne Generationen und Stilentwicklung

Stumm-Orgel Münstermaifeld

Etwa 200 Jahre lang prägte der klanglich, gestalterisch und handwerklich herausragende Stil der über sechs Generationen im Orgelbau tätigen Orgelbauerdynastie Stumm das Gebiet an Mosel und Rhein. Die Werkstatt lag in Sulzbach bei Rhaunen auf dem Hunsrück, etwa auf halber Strecke zwischen Trier und Mainz. Die früheste Orgel von Stumm steht in Münstermaifeld. Erbaut wurde sie 1722. Das prächtige Orgelgehäuse ist erhalten; das heute darin enthaltene Orgelwerk stammt aus dem 19. Jahrhundert.

370 Stumm-Orgeln sind nachgewiesen.
Bis heute sind etwa 140 Orgeln der Familie erhalten (unverändert oder umgebaut bzw. teilweise erhalten).

Der Wirkungskreis erstreckte sich von der Kölner Gegend bis Saarbrücken (katholisch St. Johann, evangelisch die Ludwigskirche) und von Luxemburg (Dreifaltigkeitskirche) bis Amorbach im Odenwald.

Kundenkreis: Kirchengemeinden, Abteien, Fürstenhöfe, Residenzstädte aller Konfessionen, katholisch wie protestantisch.

Charakteristisch für den Stumm-Stil über Generationen: singende, ein wenig streichende Principale, rauchige Gedeckte und kräftige Zungen.

Die Orgeln stimmen über Generationen in technischen und klanglichen Details überein. Auch gleichbleibende Gehäuseelemente werden im wesentlichen nur variiert und neu gruppiert.

Windversorgung: In den ersten Generationen finden wir meist Keilbälge (wie Schmiedebälge) übereinander, ab 1850 vollzieht sich ein Wechsel zu Kasten- oder Zylinderbälgen.

Die letzte Orgel aus Sulzbach wurde 1896 in Niederhosenbach aufgestellt; die Sulzbacher Werkstatt erlosch im Jahr 1920. Eine zweite Werkstatt in Kirn hatte bereits 1906 ihren Betrieb beendet.

Die erste Generation: Johann Michael Stumm (1683-1747)

Stumm-Orgel in Sobernheim

Johann Michael war zunächst Goldschmied und ist Bruder des Johann Nikolaus Stumm, eines bedeutenden saarländischen Hüttenbesitzers (Neunkirchen, Saarbrücken-Halberg).

  • Einfluss von Frankreich: Hauptwerk, Rückpositiv, Echowerk, Pedal.
  • Klaviaturumfänge im Manual C-c3 ohne Cis, im Pedal C-d° oder g° ohne Cis
  • Einfluss aus Süddeutschland: Streicher und das Register Quintatön
  • Vollausgebildeter Principalchor, flötige Cornette. Stets kräftige, französische Zungen.
  • Stimmtonhöhe: Fast in allen Orgeln finden wir den Cornetton: ½ Ton über Kammerton
  • Ein Tremulant wird im Positiv oder Echowerk gebaut; einmanualige Orgeln haben einen Tremulanten im Manualwerk.

Einige Orgeln von Johann Michael Stumm

  • Münstermaifeld 1722, zweimanualig, ursprüngl. mit Rückpositiv
  • Rhaunen, evangelische Kirche, etwa 1723, einmanualig, hinterspielig
  • Karden 1728, dreimanualig
  • Leutesdorf 1735, dreimanualig
  • Mühlheim/Eis (Kreis Frankenthal), um 1735
  • Sobernheim, 1740
  • Sulzbach evangelische Kirche 1746, zweimanualig, seitenspielig

Zweite Generation

Stumm-Orgel in der Augustinerkirche Mainz

Johann Philipp (1705-1776) und Johann Heinrich (1715-1788)

Die Werkstatt erlebt in der zweiten Generation die größte Blüte und den weitesten Wirkungskreis. Die seitenspielige Anlage wird zur Norm, mittige Anlagen werden selten. Einzige hinterspielige Orgel dürfte das Instrument in der Trierer Welschnonnenkirche sein. Das Rückpositiv wird zum Unterpositiv und erhält einen 4'-Prospekt. Ab der zweiten Stumm-Generationen gibt es das eigentümliche Register Salicional 2'/4': Von C bis h° ist es in 2-Fuß-Länge gebaut, von c‘ bis c‘‘‘ in 4-Fuß-Länge. Typisch ab der zweiten Generation ist auch Flaut travers Discant, ein solistisches Flötenregister, das nur von c‘ bis c‘‘‘ besetzt ist und meist aus Hunsrücker Birnbaumholz gefertigt wurde.

Stumm-Orgel in Trarbach

Einige Orgeln:

  • Trier Welschnonnenkirche 1757 (einmanualig, angehängtes Pedal, Bälge im Untergehäuse)
  • Meisenheim, Schlosskirche 1767/68
  • Mainz Augustinerkirche 1773: „Brückenpositiv" nach süddeutscher Art
  • Bendorf-Sayn, Abteikirche 1778
  • Amorbach 1774-1782. Größte Stumm-Orgel mit 45 Registern

Ebenfalls 2. Generation:

Johann Nikolaus (1706-1779), Bruder von Johann Philipp und Johann Heinrich, betrieb eine Filiale in Kastellaun.

  • Trarbach, evangelische Kirche, 1750

Die dritte Generation

Stumm-Orgel in Kleinich
Philipp (1734-1814), Franz (1748-1826) und Friedrich Karl (1744-1823)
Die Stilistik bleibt unverändert wie in der zweiten Generation.

Beispiele:

  • Schlosskirche Herrstein, Ende 18. Jahrhundert
  • Kleinich 1809

Die vierte Generation

Stumm-Orgel Treis
Carl (1783-1845) und Franz Heinrich (1788-1859)

Stilistisch bleiben die Gehäuse innerhalb der spätbarocken Formensprache, lediglich Rocaillen werden von Empire-Dekor verdrängt. Gestalterische Ausnahmen sind „Architekten"-Prospekte wie Treis und erste „Dreibogen“-Gehäuse wie in Schweinschied, gebaut 1834. Klanglich werden die Dispositionen romantischer und grundtöniger. Der Klang der Zungenregister etwa wird durch Veränderung von Becherlängen und Kehlenformen weicher. Aliquotregister wie Terzen und Cornette verschwinden nach und nach, ebenso das schon erwähnte Salicional 2'/4' und das kurzbechrig schnarrende Zungenregister „Vox humana“. Die Stimmtonhöhe vereinheitlicht sich um 1840 auf etwa 438 Hz für a‘.

Einige Orgeln der vierten Generation:

  • Bischofsdhron 1828
  • Treis 1838 (Gehäuseform ähnlich in evang. Kirche Thalfang)
  • Trittenheim 1840 (gegenwärtig nur Orgelgehäuse erhalten)
  • Geisenheim 1842
  • Pommern 1845

Die fünfte Generation:

Stumm-Orgel in Beulich
Friedrich Carl (1819-1891) und Georg Carl Ernst (1824-1869)
Der Klang wird nochmals grundtöniger. Das Positiv oder Nebenwerk wird in das Untergehäuse ohne Prospekt eingebaut. Neben historisierenden Barockgehäusen finden wir auch neoromanische und neugotische.

Beispiel: Beulich 1853

Die sechste Generation

Stumm-Orgel katholische Kirche Rhaunen

Friedrich (1846-1921) und Karl (1847-1926)

Im Windladenbau wechselt man von der althergebrachten Schleiflade zur um 1850 erfundenen Kegellade

Beispiele:

  • Staudernheim (um 1876; erste Stumm‘sche Kegellade im Positiv; Hauptwerk hat noch Schleiflade)
  • Thalfang 1877
  • Merxheim, kath. Kirche 1886
  • Veldenz 1888
  • Mülheim/Mosel 1890

 

Ebenfalls sechste Generation:

Gustav (1855-1906) und Julius Stumm (1858-1885) hatten nach Ausbildung bei Meyer, Ibach und Kuhn eine Werkstatt in Emmerich am Niederrhein gegründet, die nach dem Tod von Julius nach Kirn übersiedelte. Man baute Kegelladenorgeln, zunächst mechanisch, später pneumatisch. Geliefert wurden etwa 20 Neubauten.

Ein gut erhaltenes Beispiel ist:

  • Rhaunen, katholische Kirche (mechanische Kegellade, 1893)

Josef Still

Gründe für das Erlöschen beider Firmen

  1. Technik: Die konservativen Bauprinzipien der Firma werden im fortschrittsgläubigen 19. Jahrhundert zunehmend als „rückständig" angesehen.
  2. Klang: Viele Register wurden über Generationen in althergebrachter Weise gleich gebaut und intoniert. Auch dies trägt im späten 19. Jahrhundert zum Urteil bei, die Stumms würden altmodische Orgeln bauen.
  3. Vor der Jahrhundertwende tauchen Konkurrenzfirmen auf, die moderner arbeiten: etwa Klais in Bonn oder die württembergische Firma Weigle. Bereits mit der Ansiedlung von Breidenfeld in Trier um 1835 war der Werkstatt Stumm ein bedeutender Konkurrent erwachsen.

Ende der Firma 1920 (Ende der Kirner Werkstatt 1906)

Literatur über die Stumms

Bösken, Franz, Die Orgelbauerfamilie Stumm aus Rhaunen-Sulzbach und ihr Werk, Mainz 1960.

Bösken-Fischer-Thömmes: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins Band 4/2. Schott, Mainz 2005

Eppelsheim, Jürgen: Die Stumm-Orgel der evangelischen Pfarrkirche in Rhaunen/Hunsrück. Hans Gerd Klais (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Orgel. Bonn 1983, 194-202.

Eppelsheim, Jürgen: Die Stumm-Orgel von Rhaunen-Sulzbach. Hans Gerd Klais (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Orgel. Bonn 1983, 203-216.

Eppelsheim, Jürgen: Die Stumm-Orgel der evangelischen Pfarrkirche in Rhaunen/Hunsrück. Fs. zur Einweihung der restaurierten Johann Michael Stumm-Orgel in der evangelischen Kirche Rhaunen am Sonntag, dem 14. Januar 1979. Rhaunen (Ev. Kirchengemeinde) 1979, 2-12. · 1723, I/13. Rest.: Johannes Klais, Bonn.

Eppelsheim, Jürgen: Stumm-Orgeln in Rhaunen und Sulzbach. Ars Organi 31, 1983, 232-246. · Rhaunen, ev. Pfarrkirche; Joh. Michael Stumm, 1723, I/15. Sulzbach, ev. Filialkirche; Joh. Michael Stumm, 1746, II/24. Rhaunen, kath. Pfarrkirche; Gustav Stumm (Kirn), 1893, II/13.

Eppelsheim, Jürgen: Die Stumm-Orgel der evangelischen Pfarrkirche in Rhaunen/Hunsrück. Das Musikinstrument 28, 1979, 1580-1584. · Joh. Michael Stumm, 1723. Rest.: Johannes Klais, Bonn. (Nachdruck aus der Fs.).

Fischer, Hermann (Bösken, Franz): Stumm. MGG2, Personenteil, Bd. 16, Kassel/Stuttgart (Bärenreiter/Metzler) 2006, Sp. 225-228.

Gutensohn, Gerhard: Die untergegangene Stumm-Orgel der Pfarrkirche "Unserer Lieben Frau" in Koblenz. Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgeschichte 60, 1993, 439-449.

Jakob, Hans-Otto: Die Stumm-Orgel in der katholischen Pfarrkirche Heilig-Kreuz zu Geisenheim im Rheingau. Ars Organi 37, 1989, 99-103, 2 Abb. · Franz Heinrich und Carl Stumm, 1842, II/31.

Müller, Rainer: Die Stumm-Orgel der Schlosskirche zu Herrstein. Ars Organi 49, 2001, 106-111.

Napp-Zinn, Klaus: Der Kastellauner Zweig der Orgelbauerfamilie Stumm. Mitteilungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde Bd. 28, 66, 1978, 174-179. · Auch unter dem Titel: Das "Haus zum Schwanen" - die Stummsche Orgelbauwerkstatt in Kastellaun?, in: Hunsrücker Heimatblätter 16, 1976, 224-232.

Pröger, Johannes: Die Stumm-Orgel der Paulskirche Kirchheimbolanden. Donnersberg-Jahrbuch 7, 1984, 115-119; 8, 1985, 148-153.

Pröger, Johannes: Die Stumm-Orgel in Kirchheimbolanden. Donnersberg-Jahrbuch 9, 1986, 174-177; 10, 1987, 77 f.; 11, 1988, 165-167; 12, 1989, 106-108; 13, 1990, 216 f.; 14, 1991, 165 f.; 15, 1992, 123-126.

Riedel, Friedrich W.: Die Familie Stumm und der Orgelbau. Die kurrheinische Orgellandschaft. Vor-Zeiten. Geschichte in Rheinland-Pfalz, Bd. 5, Mainz 1989, 111-130.

Schneberger, Udo: Die Orgelbauerfamilie Stumm. Der Beginn der wirtschaftlichen Blüte - die 2. Generation. Naheland-Kalender 1984, 143-148.

Schneberger, Udo: Die Orgelbauerfamilie Stumm. Hochblüte und Krisen durch die Franzosenzeit - die 3. Generation. Naheland-Kalender 1985, 173-180.

Theobald, Hans-Wolfgang. Die Werkstatt Stumm in Rhaunen-Sulzbach. In: Die Orgel als sakrales Kunstwerk, Bd. 1, Mainz 1992.

www.gdo.de (Gesellschaft der Orgelfreunde)

In der Umgebung von Trier

Erhaltene Stumm-Orgeln

Bischofsdhron - Ediger-Eller - Hambuch - Hillesheim - Karden -  Luxemburg - Mülheim/Mosel - Pünderich - Thalfang - Treis - Trittenheim (nur Gehäuse) - Veldenz - Zell (nur Gehäuse)

Stumm-Orgeln in Trier

Stumm-Orgel Welschnonnenkirche Trier

1766 schrieb Johann Philipp Stumm, er habe gerade das sechste Werk in Trier aufgestellt. Wo standen sie? In Frage kommt dafür eine ganze Reihe von Klosterkirchen, die nach 1800 abgerissen wurden und die über Orgeln verfügten, deren Erbauer wir nicht kennen. Nachweisbar mit hoher Wahrscheinlichkeit in Trier sind Stumm-Orgeln in:

Agnetenkloster an der Weberbach. Baujahr vermutlich 1729, Erbauer vermutl. Johann Michael Stumm. Die zweimanualige Orgel hatte 14 Register und war seitenspielig. Nach der Säkularisation wurde sie in den Dom versetzt und 1905 nach Völklingen-Wehrden (St. Josef) verkauft. Das Gehäuse ist erhalten.

Trier Dom, Chororgel (Vorgängerorgel der Agnetenorgel). Sie wurde vermutlich kurz vor 1754 erbaut und in den Revolutionswirren zerstört. Eindeutige Belege zum Instrument gibt es nicht, jedoch wird im Welschnonnenvertrag 1754 mit Stumm auf diese Orgel im Dom Bezug genommen.

Welschnonnenkirche 1757

Johannisspitälchen 1763 (2 Manuale?)

Später kamen noch hinzu:

St. Gangolf 1829

Garnisonkirche (St. Maximin), Anfang 19. Jahrhundert

Auch kann Trier mit einer Stumm’schen Kuriosität aufwarten: 1957 wurde aus heute unverständlichen Gründen die Kueser Stumm-Orgel von 1830 abgerissen und den Weißen Vätern (Afrikamissionaren) in Trier geschenkt. In der Trierer Klosterkirche St. Magdalena (Dietrichstraße) wurden die Windladen und Pfeifen  mit einer neuen Traktur und einem gebrauchten Spieltisch versehen. Der Aufbau in den Jahren 1957/1958 erfolgte zwar nicht nach den Prinzipien heutiger Orgelbaukunst, aber dennoch dauerhaft: Die Orgel spielte bis zur Profanierung der Kirche 2018 weitgehend störungsfrei. Das originale Gehäuse und die originale Spielanlage sind allerdings verloren. Aktuell verdankt die Trierer Welschnonnenorgel den Afrikamissionaren die „Flute traversiere 8‘ Discant“: Das Register war in der Welschnonnenkirche seit langer Zeit ausgebaut und 1957 von Oberlinger rekonstruiert worden. 2006 konnte das Kueser Stummregister von 1830, gebaut traditionell aus Hunsrücker Birnbaumholz, in die Welschnonnenorgel eingefügt werden. Das Instrument der Weißen Väter bekam dafür die Oberlinger-Rekonstruktion von 1957, neu eingepasst, intoniert und gestimmt.